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Kulturwissenschaftliche Fakultät

Lehrstuhl für Neueste Geschichte – Prof. Dr. Isabel Heinemann

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"Für unsere Rechte selber kämpfen" – Griechische 'Gastarbeiterinnen' als politische Akteurinnen in der Bundesrepublik, 1960-1984

Promovierende: Thordis Kokot, Betreuerin: Isabel Heinemann

Das Promotionsprojekt untersucht die ‚Gastarbeiterinnen‘ aus Griechenland als politische Akteurinnen in der bundesdeutschen Demokratie von den 1960er Jahren bis Anfang der 1980er Jahre. Grundannahme ist dabei, dass die Arbeitsmigrantinnen der ‚ersten Generation‘ auf verschiedenste Weise und mit eigenen Strategien an gesellschaftlichen Interessenaushandlungen partizipierten. Damit greift das Projekt unterschiedliche Desiderata der zeithistorischen Migrationsforschung auf: Erstens stellt es mit den weiblichen Industriearbeiterinnen eine bisher marginalisierte Personengruppe in den Vordergrund, zweitens konzentriert es sich auf eine wenig erforschte Nationalitätengruppe und drittens betrachtet es die Arbeitsmigrantinnen (und Arbeitsmigranten) dezidiert als politische Subjekte und hinterfragt dadurch gängige Objektivierungs- und Viktimisierungstopoi sowie die Reduzierung der Arbeitsmigration auf den wirtschaftlichen Bereich.

Die Untersuchung zielt auf eine umfassende Geschichte der griechischen Industriearbeiterinnen und ihrer Handlungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik. Denn entgegen der Charakterisierung der ‚Gastarbeiterinnen‘ als ‚stille passive Opfer‘ reagierten die griechischen Arbeitsmigrantinnen, die insgesamt 42 Prozent der aus Griechenland stammenden Arbeitskräfte ausmachten, oft aktiv auf bestehende Benachteiligungen und zeigten großes politisches Interesse – sowohl in Bezug auf ihr Herkunftsland Griechenland als auch auf ihr Arbeits- und Alltagsleben in Westdeutschland.

Analysiert werden zum einen der Handlungskontext Arbeit/Betrieb/Gewerkschaft und zum anderen der Handlungsraum Zivilgesellschaft. Im Rahmen des ersten Agitationsfeldes werden gewerkschaftliches Engagement sowie ‚wilde‘ Streiks anhand der Fallbeispiele „Pierburg“ und „Hella“ thematisiert. Darüber hinaus erforscht das Projekt erstmals Gerichtsverfahren gegen die Arbeitgeber als Mittel des politischen Protests, etwa gegen die Firmen Groschupp & Co. GmbH, Kromberg & Schubert Kabelwerke KG oder Gotthilf Roth GmbH & Co. KG. In Hinblick auf die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten rekonstruiert die Pionierstudie vor allem die migrantische Selbstorganisierung der griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter, insbesondere in den zahlreichen „Griechischen Gemeinden“ und ihrem Dachverband. In diesem Zuge fragt sie besonders nach transnationalen Agenden der griechischen Community, speziell mit Blick auf die griechische Militärdiktatur 1967-74.

In beiden übergeordneten Handlungsräumen geht das Projekt drei zentralen und miteinander verwobenen Aspekten nach:

  1. den Formen des politischen Agierens: Wie und wo organisierten sich die griechischen Industriearbeiterinnen? Mit welchen Individuen oder gesellschaftlichen Gruppen kooperierten sie?
  2. den Inhalten ihres politischen Handelns: Welche Themen beschäftigten sie? Welche Ansichten und Forderungen artikulierten sie?
  3. den Wechselwirkungen mit der bundesdeutschen Gesellschaft: Wie beeinflussten die gesetzlichen und sozialen Rahmenbedingungen das Handeln der Arbeitsmigrantinnen und umgekehrt?

Das Projekt steht an der Schnittstelle zwischen Sozial- und Migrationsgeschichte, Geschlechtergeschichte sowie Demokratie- und Gesellschaftsgeschichte und rückt explizit die Eigenperspektiven früh emigrierter und erwerbstätiger Griechinnen ins Blickfeld einer historischen Untersuchung. Zu diesem Zweck beruht die Studie auf einem breiten Quellenkorpus, das zahlreiche neue Quellen in die Forschungsdiskussion einbringt. So reicht das Quellenspektrum von Gewerkschafts- und Gerichtsakten über betriebsinterne Dokumente und Behördenbestände bis hin zu Pressesammlungen und Privatarchiven.

Gefördert vom Ev. Studienwerk Villigst


Verantwortlich für die Redaktion: Lukas Alex

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